[de] Eine 11-minütige Reise durch Corporate Greenwashing |

Vor Jahren habe ich nahezu ALLES von Google benutzt. Mit meiner Zeit in CCC Kreisen änderte sich das, maßgeblich wegen Datenschutz- und Nachhaltigkeitsbedenken. Vor kurzem brachte ein Kommentar das Thema wieder auf meine Agenda.

Praktischerweise gibt es von Google direkt ein Nachhaltigkeitsbericht, der sehr beruhigend ist: “Carbon neutral since 2007. Carbon free by 2030.” Heißt es auf https://sustainability.google. Yeasss, alles grün! Schluss, aus, Applaus, nach Haus.

Aber Moment mal: Wie kann eine Firma seit 2007 CO2-Neutral sein, sich aber gleichzeitig ein Ziel für CO2-Null in 2030 setzen, ist “null” nicht gleich “neutral”? Was ist eigentlich der Unterscheid zwischen “Carbon Neutral, Zero Carbon, and Negative Emissions”? Wie Nachhaltig sind klimaneutrale Firmen wirklich?

Mit diesen Fragen habe ich mich auf eine erschreckende Reise durch Corporate Greenwashing begeben. Auch wenn ich weit vom Ende entfernt bin, hier ein kleiner Bericht. Mein Anspruch ist es einen gut informierten Überblick mit einer Wertung zu geben, keinen allumfänglichen (gar wissenschaftlichen) Artikel zu schreiben. Einflüsse und Quellen sind übrigends unten.

Definitionsschummeln

Wenn Firmen über Klimaneutralität sprechen, klingt das erstmal sehr gut: Google spricht zum Beispiel gerne darüber, dass es seit 2007 CO2 Neutral ist. Bei genauerer Betrachtung der Webseite fällt jedoch auf, dass viele der dort sehr schön präsentierten Erfolge nur Versprechen sind. Im schlimmsten Fall geht es gar nicht um Nachhaltigkeit, sondern Schadenskompensation.

Carbon Neutral, oder CO2 Neutral, bedeutet, dass das ausgestoßene CO2 durch Masznahmen an anderer Stelle kompensiert wird. (Brown 2018)

Eine negative Emmissionsbilanz meint, dass mehr CO2 ausgeglichen, als ausgestoßen wird. (ebd)

Zero Carbon bedeutet, dass erst gar kein CO2 ausgestoßen wird. (ebd)

Gerade CO2 Neutral wird gern von Unternehmen verwendet, die Grün erscheinen wollen, aber in der Realität massiv den Planeten schädigen. Drei Probleme:

  1. Das Treibhausgas wird ausgestoßen, statt den Ausstoß zu reduzieren
  2. CO2 Neutral ist nicht Klimaneutral: die UN Definiert “Klimaneutral” als offizielle Bezeichnung, die sicherstellt, dass alle Treibhausgase einbezogen werden.
  3. Die im Ausgleich einberechneten Emissionen sind Definitionsfrage.

Definitionsfrage? Nun, laut Climatepartner gibt es drei Kategorien von Emissionen, die bei der Erreichung von Klimaneutralität erfasst werden können:

  • Scope 1: direkte Emissionen eines Unternehmens, z.B. das CO2, das von der Fahrzeugflotte eines Unternehmens ausgestoßen wird.
  • Scope 2: indirekte Emissionen, z.B. die Energieversorgung des Firmengebäudes, die bereits bei ihrer Gewinnung Emissionen verursacht.
  • Scope 3: indirekte Emissionen, die nicht im direkten Einflussbereich des Unternehmens stehen, wie z.B. die Lieferkette.

Oft werden Scope 1-2 einbezogen, aber es gibt keine Regeln dazu. Klimaneutralität ist also trotz mathematischer Berechnung kein genormtes Label, sondern halt eine Definitionsfrage.

Ein praktisches Beispiel: Das Kieswerk Ottendorf-Okrilla möchte Wald weg baggern, Aktivisti verhindern das. Der Scheiszverein rechtfertigt nun sein Vorhaben gegenüber der Presse damit, dass die Fläche CO2 Neutral Aufgeforstet wird. Dabei wird aber jedoch elegant ausgelassen, dass

  1. ein über Jahrhunderte gewachsenes Ökosystem zerbaggert würde, angrenzende Moore gefährdet währen
  2. der Grundwasserspiegel gesenkt würde
  3. Die gepflanzten Bäume Jahrzehnte brauchen, bis sie
    a) eine Negative Emmissionsbilanz haben
    b) die gleiche Filterleistung wie der alte Wald haben

Klar, technisch gesehen kommt das Kieswerk (je nach Rechnung) irgendwann bei einer Netto Null (aka Net-Zero) raus, aber das dauert länger als wir Zeit haben. Eine Bauwende die solche Zerstörung an Umwelt und Klima im vornherein vermeidet ist bitter nötig. Und wenn du glaubst es geht kaum absurder, dann lass dir gesagt sein: auch Öl-Firmen haben nun Klimaneutralität für sich entdeckt. (Berman 2021)

Doch selbst CO2 Vermeidung lässt einen großen Aspekt auszenvor: Nachhaltigkeit. Ein nachhaltiges Unternehmen stößt keine Treibhausgase aus, aber ein Treibhausgasfreies Unternehmen ist noch lange nicht Nachhaltig.

Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit

Nach­hal­tig­keit, die. “Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann” (Duden)

Die Klimakrise ist eine Gerechtigkeitskrise, denn auch wenn es nicht den Anschein macht, sitzen wir nicht alle im gleichen Boot – wir tragen alle die Konsequenzen der Klimakrise, jedoch trifft sie uns nicht alle gleich. Manche Menschen können sich nämlich besser vor den Folgen der Klimakrise schützen als andere, was vor allem eine Frage von finanziellen Mitteln und von gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist – dies allein ist hochgradig ungerecht, da jeder Mensch das Recht auf Leben, Gesundheit und Sicherheit hat.

Dazu kommt, dass diejenigen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind weder die Mittel noch den Einfluss haben, diese Krise aufzuhalten und trotz dessen am meisten davon betroffen sind: Für viele Menschen im Globalen Süden hat die Klimakrise bereits jetzt schon weitreichende und bedrohliche Folgen, wie stärkere Überschwemmungen und Dürren, die die Lebensmittelsicherheit gefährden. Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt werden in Zukunft mit den Folgen eines heruntergewirtschafteten Planeten, der Erderwärmung und strukturellen Ungerechtigkeit wie Rassismus, Sexismus und soziale Ungerechtigkeit kämpfen müssen, die nochmals von der Klimakrise verstärken werden.

Klimagerechtigkeit bedeutet, dass wir das 1,5°C Ziel erreichen müssen, um die schlimmsten Folgen der Erderwärmung zu verhindern. Es liegt in unserer Verantwortung, die durch die Klimakrise verstärkten Ungerechtigkeitsverhältnisse anzuerkennen, auszugleichen und sozioökonomische Machtverhältnisse zu überwinden. (Fridays for Future Deutschland 2020)

Zurück zu Tech Giganten. Wenn wir uns unter den angesprochenen Aspekten Anschauen wie Nachhaltig diese Unternehmen wirklich sind, bemerken wir schnell: “hoppala, das ist aber GANZ weit weg” von dem fluffigen grünen image auf der Nachhaltigkeitsseite.
Kühlsysteme für Rechenzentren werden zwar billig (und neuerdings auch “Klimaneutral”), aber nicht nachhaltig gebaut, was in einem heftigen Wasserverbrauch endet (Mytton 2021). Weil sie dort Steuersenkungen bekommen, werden Rechenzentren vermehrt in heißen Ballungsgebieten gebaut. So kommen Absurditäten wie Wasserknappheit zu Stande.
Auch wenn sich die Nachhaltigkeit im Fall von Google verbessern durch laufende Nachhaltigkeitsinitiativen (Google 2021) ändern soll, bleibt die Realität niederschmetternd. Auch ist Google nicht allein auf der Welt, viele andere große Tech-Firmen geben einen scheisz auf die Welt, aber präsenzieren sich gern Klimaneutral.

Und das ist eigentlich nicht Schuld der Unternehmen als komplexes Gebilde, denn diese sind auch nur Opfer des Systems was maximalen Profit von allen fordert um unendlich zu wachsen.

Nein, es ist die Schuld der Profiteure dieses Systems. Es sind die Menschen mit großen Anteilen in Unternehmen, die willentlich die Ausbeutung von Menschen und Natur in Kauf nehmen, die neo-kolonialistische Ausbeutung des globalen Südens möglich, ja nötig machen. Würden global agierende Unternehmen (und das politische System in dem sie sich Bewegen) neu ausgerichtet, dezentralisiert und Hierarchien abgeflacht, wäre die Zielsetzung schnell eine andere.

Fazit

Hochzentralisierte Systeme sind zwar effizienter, eine Beobachtung die sowohl auf politische als auch technische Systeme zutrifft. Ab einer signifikanten Größe steht jedoch die schiere Komplexität eines Systems der benötigten Geschwindigkeit bei grundlegenden Umstellungen für eine nachhaltige Welt im Weg.
Doch die Klimakrise ist JETZT in vollem Gang, wir müssen JETZT Emissionen reduzieren und deshalb JETZT handeln. Versprechen von “net-zero” Zielen sind gefährlich, denn sie ignorieren den dringenden Bedarf JETZT sofort DRASTISCH Treibhausgas (CO2 aber auch Methan, Lachgas und FCKW) Emissionen zu reduzieren, nicht erst in 10 Jahren. Und das ohne dabei die Umwelt durch sinkende Grundwasserspiegel auszutrocknen.

Dabei sollten wir im Transformationsprozess nicht nur eine Lebenswerte Welt, sondern auch eine digital nachhaltige Tech-Branche schaffen, damit Computer (wie schon vor über 30 Jahren vom CCC erträumt) unser Leben endlich zum Besseren verändern können. Für das Gelingen ist aber öffentlicher Druck essentiell, sowohl auf Konzerne als auch politische Institutionen, oder anders gesagt: ein Kampf für Nachhaltigkeit funktioniert nicht ohne tiefgreifende Kapital- und Systemkritik.